Paul Hosking

 

Spiegel öffnen Welten, die genauso aussehen, wie die Räume, die sie umgeben und doch auf faszinierende Weise ein klein wenig anders. Die Heldin aus Lewis Carrolls Kinderbuchklassiker Alice hinter den Spiegeln lässt die Frage nicht los, was wohl hinter dem Spiegel stecken mag. „Ich bin ganz sicher, es gibt, ach! die wunderschönsten Dinge dort im Spiegel-Haus!“ Auch wenn wohl kaum jemand es der kleinen Alice gleichtun und versuchen wird, durch einen Spiegel zu schlüpfen, so schauen die meisten Menschen doch interessiert in jeden Spiegel, der sich ihnen bietet. Das gilt bereits für gewöhnliche Spiegel, umso mehr trifft es auf die raffinierten Acrylspiegel des britischen Künstlers Paul Hosking zu. Ihre farbigen Hochglanzoberflächen sind verlockende Reflektionsflächen, in denen man sich selbst begegnet sowie dem Raum, in dem man sich bewegt, detailgetreu und delikat getönt und auf faszinierende Weise anders als in Wirklichkeit. 

 

Für Paul Hosking sind seine Werke mehr als Spiegel. Der britische Künstler versteht die hochglänzenden Wandarbeiten, die er gestaltet, als Gemälde, die er mithilfe von Acrylfarben und Spiegelglas schafft. Es sind Werke, die in einen unmittelbaren und vielschichtigen Dialog mit der Umgebung treten. Die Bilder verändern sich im Spiel von Licht und Schatten, sie nehmen den sie umgebenden Raum in sich auf und natürlich auch das Publikum. Die gern zitierte Idee Marcel Duchamps, dass erst der Betrachter ein Kunstwerk vollende, wird in Hoskings Arbeit ganz konkret umgesetzt. Die Ausstellungsbesucherin wird Teil des Bildes, in das sie schaut. In Hoskings Spiegel-Welt sind alle Darsteller und Zuschauerinnen zugleich, Fragender und Befragte. Der Blick in den Spiegel dient, auch und gerade im privaten Bereich, oft der Selbsterkundung und Gedankenvertiefung. Eine ähnliche Situation ergibt sich beim Betrachten von Kunst: Im Interesse, das ein Betrachter, einer Betrachterin einem Kunstwerk entgegenbringt, steckt immer auch die stille Hoffnung, etwas von sich selbst in der Kunst zu entdecken. Etwas, das bisher verborgen war. 

 

Bei Paul Hosking erhält dieser Prozess der Reflexion eine besonders Färbung, und das im wortwörtlichen Sinn: Seine Spiegel-Bilder schimmern golden, schwarz und aquamarinblau. Der Farbglanz gibt den Bildern eine luxuriöse Note und appelliert damit an die tief wurzelnde menschliche Lust am Neuen, am Unberührten, am Makellosen. Zugleich erscheint das Bild im Spiegel durch die Farbtönung entrückt, und wirkt dadurch umso verlockender. Auch ein kühler Ausstellungsraum gewinnt eine verheissungsvolle Aura, wenn er von einem Goldschimmer überzogen ist. 

Der in London lebende Künstler Paul Hosking wurde 1976 geboren und studierte am Plymouth Art College sowie am renommierten Goldsmiths College in London. Seine Werke waren bereits in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen in London, Los Angeles, Sao Paulo und Berlin zu sehen. Paul Hosking arbeitet mit Materialien und Techniken aus der Industrie. Er verwendet geätztes Glas, gepresstes Aluminium, spiegelnde Acrylfarben und bearbeitet sie mit Laser Cutter und computergesteuerten CNC Fräsen. In seinen eleganten Spiegel-Arbeiten gelingt es Paul Hosking, mit sparsamen Mitteln eine komplexe Auseinandersetzung mit Fragen der Wahrnehmung zu vermitteln. 

 

Paul Hosking manipuliert seine Spiegel-Arbeiten zusätzlich, indem er sie mit dem Laser- Cutter in symbolträchtige Formen schneidet, Profile menschlicher Gesichter zum Beispiel oder Rorschachtestbilder. Mithilfe der vom Schweizer Psychiater und Psychoanalytiker Herrmann Rorschach entwickelten Klecksbilder sollen sich belastbare Erkenntnisse über verborgene Persönlichkeitsmuster von Patienten gewinnen lassen. Das Motiv des Spiegels als Erkenntnismedium, das den Blick von der Oberfläche ins Innere führt, wird durch diese Formgebung verstärkt. 

Zudem bearbeitet Paul Hosking die Oberflächen der Spiegel-Bilder, bemalt sie mit nicht-spiegelnden Gitterstrukturen und Zaungeflecht, die eine Barriere schaffen zwischen dem Blick des Betrachtenden und dem Bild im Spiegel. Die Werke öffnen einen visuellen Raum und verschliessen ihn im selben Moment. Sie machen das Publikum zu einem Teil des Kunstwerks und weisen es gleichzeitig unmissverständlich in seine Schranken und treiben so ein tiefgründiges Spiel um Transparenz und Undurchlässigkeit, um Zeigen und Verhüllen, um Kunst und Wahrheit. 

 

Alice Henkes

 

Biografie

"Parallax" Presse text (pdf)


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