Jessica Craig-Martin
Earthly Delights
03.06.2023 – 26.08.2023
In ihrer Ausstellung Earthly Delights legt die amerikanische Künstlerin Jessica Craig Martin die irrwitzige Welt der Schönen und Reichen offen. Diese Welt offenbart sich als Quelle der Wunder und appelliert an unser voyeuristisches Interesse am Menschsein. In ihren Fotografien erkundet Craig-Martin die Gesellschaftsgruppe der High Society auf systemische Art und Weise: Ess- und Trink-verhalten stehen gleichermassen im Fokus wie Geschlechterrollen und rituelles Feiern. So werden die Mitglieder der High Society, ihre Utensilien und ihre sozialen Gepflogenheiten zum künstlerischen Forschungsgegenstand. Die daraus hervorgehende Welt, die Craig-Martin seit Jahrzehnten fotografiert, ist breit gefächert. Ihre Bilder zeigen edle Luxusware wie Diamanten, Designeraccessoires und Haute-Couture oder rares Konsumgut wie Zigarren, Kaviar und Austern. Doch auch die Luftküsschen der Damen und die Serviertätigkeiten des Personals sind typische Motive von Craig-Martin’s Œuvre. All diese Teilstücke werden fotografisch dokumentiert und fügen sich zu einem Gesamtbild voller Dekadenz und Exzess zusammen. Derart versteht es die Künstlerin, kuriose Momente in überzeugende Bildkompositionen zu übersetzen. In der Tradition eines Henri Cartier-Bresson weiss die gebürtige Amerikanerin das Decisive Moment einzufangen: Sie hat die Balance zwischen Zufall und Komposition perfektioniert und präsentiert uns humoristische Szenen aus dem Partyleben der über-Reichen.
Die Evolution der fotografischen Zurschaustellung exklusiver Milieus wie demjenigen der Superreichen nimmt ihren Ursprung in den 1950er und 1960er Jahren mit dem Aufkommen der Papparazzifotografie. Die geheimnisvolle Glamourwelt der Prominenten gelangte über diese Art der – zumeist aufdringlichen – Schnappschussfotografie an die neugierige Öffentlichkeit. Jessica Craig-Martin knüpft mit ihrer Technik, die gleichermassen durch Spontanität und Präzision überzeugt, an diese Bildwelt an. Auch sie dringt mit Ihrer Kamera in den okkulten Kosmos der Wohlhabenden dieser Welt ein und macht das nächtliche Treiben auf Galaevents, Dinner- und Afterpartys sichtbar. Dennoch begrenzt Craig-Martin diese Sichtbarkeit, indem sie ihre Subjekte zumeist anonymisiert. Dies führt zu einem verlockenden Wechselspiel zwischen Geheimhaltung und Transparenz, sodass ihre Werke ausnahmslos mehrere Bedeutungen tragen. Derart überzeugen die Fotografien der Künstlerin auch aufgrund ihrer humorvollen Aussagen, die insbesondere über die Titelgebung verstärkt werden. So verbirgt fast jedes Bild verschlüsselte Anspielungen auf intellektuelle, politische oder populärkulturelle Kontexte.
Ein Schlüsselwerk der Ausstellung Earthly Delights ist die Arbeit Triangle of Sadness (Happy Endings), New York aus dem Jahr 2023. Die Fotografie zeigt eine junge Frau, die auf einer Party einen Mann mit Austern, die in einer Schale vor den beiden auf dem Tisch liegen, füttert. Der, ihr gegenüber ältere, Herr fixiert die blonde Dame mit seinem Blick. Diese Fotografie spielt mit dem Klischee des Models und des Millionärs. Sie fasziniert und irritiert gleichzeitig. Die klassische Schönheit mit rotem Lippenstift im Goldkleid steht als absurder Widerspruch zum begierigen Blick des Mannes, der den Anschein macht, dass selbst ein Überfluss an Genuss, Zuneigung und Geld seinen Hunger nicht stillen könnte.
Diese ‘Dreiecksbeziehung’ zwischen der Frau, dem Mann sowie den Austern sind Ausdruck von Lust, Luxus und Schönheit und bringen die irdischen Freuden der High Society auf den Punkt. Der Titel Triangle of Sadness kann in diesem Zusammenhang als kritischer Kommentar dieser oberflächlichen ‘Freuden’ gelesen werden. Doch spielt Craig-Martin mit dem Titel ebenfalls mit dessen Doppeldeutigkeit und könnte sich auch auf den gleichnamigen Film von Ruben Östlund beziehen, welcher in parodistischer Manier die Absurdität der Elite beschreibt.
Ein weiteres prägnantes Werk der Ausstellung ist die gleichnamige Arbeit Earthly Delights. Sie zeigt perfekt pedikürte Füsse mit pinkem Nagellack auf einer saftig grünen Wiese. Das Bild erscheint perfekt als Werbekampagne für weibliche Selfcare-Produkte. Dieser Wunsch nach makelloser Schönheit, betitelt Craig-Martin als irdische Freuden. Doch ist eine vollkommene Schönheit ebenso unnatürlich wie das grün des Rasens, das die Fotografin in dieser Arbeit zeigt.
Die Ausstellung Earthly Delights zeichnet sich durch ihre Aktualität und ihren Scharfsinn aus. Im Ganzen vermittelt sie das künstlerische Schaffen von Jessica Craig-Martin in ihrer Vielseitigkeit.
Jessica Craig-Martin (*1963) studierte zunächst Kunstgeschichte und Anthropologie an der New York Universität. Zusätzlich besuchte Sie Kurse in Fotografie am renommierten International Center of Photography in New York. Neben ihrer künstlerischen Arbeit war Craig Martin ebenfalls fünf Jahre als Fotografin bei der amerikanischen Vogue tätig. Ihre Werke sind in grossen Sammlungen wie dem Guggenheim Museum in New York, dem Whitney Museum of American Art, New York, dem Museum of Fine Arts in Boston oder auch dem Farnsworth Art Museum in Rockland, Maine vertreten – um nur einige zu nennen. Ihre Arbeiten sind ebenfalls in Ausstellungen grosser Häuser, wie dem MoMA PS1 in New York, dem Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía in Madrid oder auch der Schirn Kunsthalle in Frankfurt am Main zu sehen.
Derzeit arbeitet Craig-Martin an ihren Memoiren über ihre Kindheit in der Londoner und New Yorker Kunstszene sowie über ihrer Zeit als Partyfotografin, in der sie für die Zeitschrift Vogue über viele der luxuriösesten Veranstaltungen der Welt berichtete. Das Buch trägt den Titel I Regret I‘ll be Able to Attend und wird nächstes Jahr bei Penguin Random House erscheinen.
Jessica Craig-Martin lebt und arbeitet in New York.
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