Guido Baselgia
AlpenFalten
20.1.2012 - 10.3.2012
Guido Baselgia ist Fotograf. Doch ihn lockt nicht die naturgetreue Wiedergabe einer Landschaft. Beladen mit der Grossbildkamera erlebt und erleidet er seine Arbeiten, in einsamen Märschen durch menschenleere Gefilde, bei allen Witterungen, in aller Stille und Abgeschiedenheit hält er Zwiesprache mit dem Geschauten und ringt beharrlich um sein Werk. Das Engadin wie auch das bolivianische Hochland, die Atacamawüste in Chile, Eismeer, Fjorde und Hoher Norden, Weltmeer, Sonne und Sterne sind seine Schauplätze und Kulissen. Im Titel der Ausstellung – AlpenFalten – bezieht sich Baselgia auf die Zeit der Vergletscherung, auf die Entstehung der Alpen und auf deren Werden und Vergehen. Diesmal hat er sich in die Luft begeben. Er bringt Nähe und Ferne und das Dahinfliessen der Zeit mit ins Bild. Stets sind es philosophische Dimensionen, denen der Künstler in seinen Arbeiten Ausdruck verleiht.
Ernst Ludwig Kirchner hat sie gemalt, und Conrad Ferdinand Meyer hat sie besungen: die Bergüner Stöcke und mit besonderer Hingabe das Tinzenhorn, „das weisse Spitzchen“(*), das neben Piz Ela und Piz Mitgel die magische Dreiergruppe aus Dolomit bildet. Auch Guido Baselgia kann sich diesen markanten Bergen im Bündner Albulatal nicht entziehen und begegnet ihnen in seinen neuesten Arbeiten auf Augenhöhe. In einem Flieger umkreist der Fotograf den Berg, sucht dabei nicht monumentales Erschauern ins Bild zu bannen, sondern vielmehr eine subtile Annäherung an die schroffe Schönheit der felsigen Wand. Vier grossformatige Bilder sind dabei entstanden. Trotz deren minutiöser Schärfe geht der Künstler weit über das exakte Abbild hinaus. Die gewaltigen Ausmasse der Bilder übertragen auf den Betrachter ein Gefühl direkter Präsenz.
Der Piz Ela, der grösste der drei Berge, hat den Flügel, das Fliegen schon in seinem Namen. Auch er ist gefaltet in wilden Klüften und weichen Moränen. Aus der Luft thematisiert Baselgia in einem zweiteiligen Panoramabild die Relativität des Blickwinkels sowie das Vergehen der Zeit. Während vom Flieger aus der markante Hintergrund stehenzubleiben scheint und sich nicht verändert, wandert die Vorderansicht durch die Flugbewegung permanent und zeigt bei jeder Aufnahme ein neues Bild. Erdgeschichtliche Dimensionen werden sichtbar, Grosses und Kleines austauschbar. Nähe und Ferne bedingen sich und heben sich gleichzeitig auf. Keines dieser Bilder ist wiederholbar, alles ist in steter Bewegung und Veränderung.
Ganz neu sind die Gletscherarbeiten in den farbneutralen LED Leuchtkästen. Hier wird das analoge Bild ins Digitale übersetzt. Auch diese Aufnahmen macht der Künstler mit der
Grossbildkamera und arbeitet mit der Lichtdurchlässigkeit des Silberkorns. Das Glas-Negativ wird zur Projektionsfläche und so zum sichtbaren Bild. Beim sorgsamen Schreiten über den Gletscher öffnet sich dem Fotografen der Blick auf die starre Schönheit des Eises. Im Bild wölbt sich das Innere des Morteratschgletschers nach aussen, durchleuchtet in spitzigen Falten und weichen Wellen. Negativ und Positiv kehren sich um, ein lichtvolles Gemälde erscheint, dessen Glanz noch bei unterbrochener Stromzufuhr leicht abgeschwächt erhalten bleibt. Auch die ständige Veränderung des einen Aggregatzustandes in den andern, von Wasser zu Eis, scheint sichtbar – mitunter sogar vernehmbar, wenn man beim Betrachten des Bildes sich einbildet, das Tropfen schmelzenden Eises zu hören.
Auf der dreiteiligen Bilderserie Calanda vermutet man einen schwarzen Pfeil, einen Schatten, einen Vogel über die felsige Fläche schweben zu sehen. Hier vertauscht Guido Baselgia illusionistisch die Bildrichtung, sodass der Berg in die Fläche zu kippen scheint. Es wird unwichtig, wie man das Bild dreht, es ist in jeder Position „richtig“. Was konkav aussieht, wird konvex, aussen und innen werden austauschbar – eine Illusion wird Bild. Die markante Schwarz-Weiss-Zeichnung der Fotografie hat holzschnittartige Präsenz und Klarheit.
Gisela Kuoni
*„Ein blendendes Spitzchen blickt über den Wald / Das ruft mich, das zieht mich, das tut mir Gewalt“, in: C.F. Meyer, im Gedicht Das weisse Spitzchen
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