Barbara Ellmerer

Bio-Fiction

 

Zartrosa Blütenblätter spreizen sich zwischen Blattwerk in lichtem Grün. Eine freundliche Naturidylle scheint Barbara Ellmerers Ölgemälde Lengua den Betrachtenden zu bieten, wären da nicht die unteren Partien des Bildes, in denen das, was eben noch Blüte zu sein schien, an ein monströses Insekt erinnert, das jeden Moment aus dem Bild zu springen droht. Auf verwirrende Weise verbindet Barbara Ellmerer das Verlockende mit dem Bedrohlichen und gestaltet Motive, die sich eindeutiger Erkennbarkeit und Erklärbarkeit entziehen.

 

Trotz floraler Anmutung haben die Motive Barbara Ellmerers eine irritierende, oft aggressive Komponente. Der romantische Gestus, mit dem Künstler heute wieder in die Natur hinaussehen, um dort einen Resonanzraum eigener Gefühle und Phantasien zu suchen, liegt ihr fern. Die in Zürich lebende Künstlerin, Jahrgang 1956, bezeichnet die Pflanzenwelt gar als Vorwand, um die inneren Kräfte der Natur, die energetische Substanz des Lebens auf die Leinwand bringen zu können. Im Sinne der Kunstphilosophie von Gilles Deleuze interessiert die naturwissenschaftlich belesene Künstlerin sich für Malerei als „reinem Kraftquantum“ und Farbe gewordener Intensität. Der französische Poststrukturalist Deleuze propagierte ein Denken, das Unvereinbarkeiten zulassen und die Komplexität und Pluralität der Wirklichkeit wiedergeben sollte. Für die Malerei forderte er eine Befreiung von reproduktiven, nacherzählenden Gesten. Durch Abstraktion sollte die Macht, die Deleuze in der Malerei als Potenz angelegt sah, entfesselt werden. Barbara Ellmerer zeigt in ihren Bildern, wie diese Kraft gerade dort wirksam werden kann, wo die Malerei den Darstellungsmodus des Figurativen berührt.

 

Dabei entwickeln Barbara Ellmerers Arbeiten, partienweise mit pastosem Farbauftrag gestaltet, zuweilen haptische Qualitäten. In dem Bild Dragona etwa sind schuppenförmigen Blättern in grellem Pink dicke orangegelbe Lichtkleckse aufgesetzt, die den Betrachtenden wie verlangende Flammen oder Zungen entgegen lecken. Klug nutzt die Künstlerin die Eigenenergiewerte der Farben, indem sie kraftvolle Töne hart konturiert gegeneinanderstellt und erzeugt so eine starke visuelle Reibung. In ihren jüngsten Arbeiten verwendet Barbara Ellmerer auch weiche Farbverläufe. In Globulus scheinen minzgrüne Blätter sich in einem dämmerig violetten Hintergrund aufzulösen. Das Motiv, das an extrem vergrösserte Details einer unbestimmten Pflanze erinnert, wirkt, als könne es jeden Moment in der Farbe verschwinden.

 

Die energetische Intensität der Bilder ergibt sich vor allem durch das Heranzoomen des Objekts. Der Blick der Künstlerin ist mikroskopisch nah; er verzerrt das Motiv ins Fremde und durchdringt die Oberfläche, fokussiert die Vitalität unter der Hülle. Barbara Ellmerer widersetzt sich mit ihrer Malerei an der Grenze zwischen Figuration und reinem Farbakt dem menschlichen Bedürfnis, die Umwelt zu erkennen, zu benennen und zu beherrschen. Sie betreibt eine konsequente Malerei der Verunsicherung, die den Betrachter zwingt, seine Wahrnehmung zu hinterfragen. In älteren Werkgruppen reizte Ellmerer die Fähigkeit des menschlichen Gehirns aus, lückenhafte  Bildinformationen sinnvoll zu ergänzen, indem sie verschwindend blasse Gesichter malte, die nur ein Minimum an Details boten. In ihren Arbeiten der Serie Bio-Fiction hingegen torpediert Barbara Ellmerer die Betrachtenden mit Bildern, die trotz des kräftigen Farbauftrags kaum Auskunft über das Gezeigte geben. Mit dieser Verweigerung verwertbarer Informationen verweisen die Arbeiten auf jene Kräfte des Lebens, die sich dem menschlichen Bemühen nach Erkenntnis, nach Entdeckung von Sinnhaftigkeit entziehen. Wie fremd die Natur dem Menschen sein kann, das macht Barbara Ellmerer deutlich.

 

Alice Henkes

 

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