Jessica Craig-Martin
Standard Excess
„One is never so naked as when dressed for a party“, sagt die Fotokünstlerin Jessica Craig-Martin in einem Interview. Ihr Ausspruch widerspiegelt sich unmittelbar in ihren Sujets. Craig-Martins Arbeiten zeigen verschiedene festliche Anlässe, seien es Cocktail-Parties, Charity-Events oder glamouröse Galas am Filmfestspiel in Cannes oder an der Biennale in Venedig. In präzisen, detailreichen Aufnahmen fotografiert sie extravagant gekleidete Gäste an ausgelassenen Festen. Craig-Martins Fotografien sind anders als die uns aus den geläufigen Hochglanz-Magazinen bekannten, denn sie halten nicht das makellos Schöne fest, sondern entblössen ein Stück Realität hinter dem glamourösen Schein. Sie hat einen Blick für das Groteske und spielt mit den Facetten von Mode, Geschmack und Wohlstand. In ihrer Rolle als Pressefotografin, unter anderem für Vogue und Vanity Fair, gelingt es Craig-Martin, Szenen aufzunehmen, die anderen unzugänglich sind. Sie kennt die Gäste und ist in ihren Kreisen zuhause. So kann sie ihre Kamera einsetzen, ohne Misstrauen zu erwecken, wenn sie wunde Punkte aufgedeckt: So hält bei Air Kiss die übliche Grimasse fest, mit der Damen angestrengt versuchen, Lippenstiftspuren zu vermeiden. In Arrival Lipstick zoomt Craig-Martin mit extremer Schärfe auf den über die Lippenkontur verlaufenden roten Lippenstift einer alternden Schönheit. Das Interesse der Fotografin ist jedoch „nicht auf Einzelpersonen gerichtet ... Meine Kamera will das Persönliche auslöschen. Ich sehe meine Arbeiten als abstrakte Studien von Pailletten, exponierten Weichtieren und klimatisiertem Nerz. Eitelkeit, Exzess, Verletzlichkeit, geheimnisvolle soziale Rituale. Versagende Schutzschilde. Glamour ist ein Trugbild: Wenn man sich nähert, verschwindet es.“
Craig-Martin spielt mit unseren voyeuristischen Sehgewohnheiten und mit der VIP-Welt. Sie zeigt uns die Kehrseiten eines luxuriösen Lebenswandels und dessen gesellschaftlich diktierte Eitelkeiten. Ihre Fotografien tragen Züge von Stillleben, so die minutiös angerichteten Häppchen in Catered Caviar, Naomi Campbell Text und Private Party. Ähnlich wie die opulenten Prunkstillleben des 19. Jahrhunderts visieren diese Kompositionen Repräsentanz an und beinhalten Wohlstandsindizien wie den zur Schau gestellten Schmuck, die mondriansche Plattformsandalette von Christian Louboutin, den Mops mit Tassenhalsband, den prachtvollen Kronleuchter oder aneinander gereihte Champagner-Gläser in Another Bellini?. Craig-Martin hält ihrem Publikum im Bild einen Spiegel unserer Überflussgesellschaft vor und spielt mit ihren Titeln humorvoll auf Doppeldeutigkeiten an. Der weisse Handschuh des Kellners, der dem Gast das Glas reicht, wird erst durch den Titel Safe Champagne zu einer hygienischen Vorsichtsmassnahme. Ein hoher Abstraktionsgrad findet sich in Craig-Martins grossformatigen Arbeiten: In Cougar Friends, Midnight at the Oasis und Party Animals werden Haut, Muster und Stofflichkeiten zu Farbflächen.
Jessica Craig-Martin kam 1963 in Hanover, New Hampshire, zur Welt und wuchs in einer Künstlerfamilie in der aufregenden Kunstwelt von London und New York auf. Zunächst strebte sie eine Karriere als Moderedaktorin an und arbeitete für British Vogue und den Sunday Telegraph in London, bevor sie als Kulturredaktorin nach New York übersiedelte. Später studierte sie an der New York University Anthropologie, was sie mit ihren zahlreichen Reisen verbinden konnte. Während eines Fotografiekurses für ein geplantes Buch über Asien stiess sie gleich vor ihrer Haustür auf spannendes Material. Exzess und Luxus in allen Schattierungen fesseln seither ihr Interesse. Anna Wintour fand Gefallen an ihren Arbeiten und beauftragte sie, New Yorks Nachtleben zu fotografieren. Dies verschaffte Craig-Martin nicht nur Zugang, sondern auch Blicke hinter die Fassaden einer glamourösen Welt, die in Hochglanz- Magazinen zum Massenkonsum angeboten wird.
Seither ermöglicht der schlagende Erfolg ihrer Arbeiten Craig-Martin eine überzeugende internationale Ausstellungstätigkeit in renommierten Galerien und Museen, mit Einzelausstellungen wie PS1 MoMA, New York (2001); Dorothée de Pauw Gallery, Brüssel (2001); Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía, Madrid (2002); Greenberg van Doren Fine Art, New York (2007); und Galerie 64bis, Paris (2009). Ihre Arbeiten befinden sich in namhaften Sammlungen wie dem New Museum, New York, dem Whitney Museum of American Art, New York, dem Solomon R. Guggenheim Museum, New York, dem Museum of Fine Arts, Boston und der Saatchi Collection, London. Heute lebt und arbeitet Jessica Craig-Martin in New York City.
Marie-Louise Teichmann
Biografie
Presse text (pdf)
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