Nigel Hall

Southern Shade

3.11.2012 - 21.12.2012

 

Southern Shade – der Titel der Ausstellung in der Galerie Andres Thalmann – verweist auf eine der jüngsten Inspirationsquellen des renommierten britischen Künstlers Nigel Hall RA. Vom Licht des Südens und der wunderbaren Natur angezogen, verbringt der Bildhauer seit Kurzem mehrere Wochen im Jahr in Südfrankreich. Insbesondere wecken die Schirmpinien mit ihren verworrenen Verästelungen in den ausladenden Baumkronen sein Interesse.

 

Halls Plastiken und Zeichnungen finden oft ihre Inspiration in Landschaften, ohne jedoch den Anspruch zu erheben, ein exaktes Abbild zu liefern. Den Stimmungsgehalt eines Panoramas – die Ansicht eines Dorfes, der Blick in ein bestimmtes Tal der Engadiner Alpen oder die Beobachtung des Schattenspiels im dicht vernetzten Nadelgrün der Pinie – fängt Hall mit flüchtigen naturalistischen Zeichnungen in seinem stets griffbereiten Skizzenbuch ein. Diese subjektive Wahrnehmung der Wirklichkeit findet schliesslich ihren Widerklang in den vereinfachten geometrischen Figurationen seines Schaffens.

 

Mit der Grossplastik Southern Shade V setzt Hall die raumgreifende Energie des Kreises gekonnt in Szene. Mehrere ellipsenförmige Ringe reihen sich an-, in- und gegeneinander. Eine kompakte, sockelartig gekippte Tonne steht luftig angeordneten Ellipsen gegenüber. Die verschiedenen Höhen und Lagen der Ringe visualisieren Dynamik und verleihen mit ihrer Transparenz der fast acht Zentner schweren Bronzeskulptur ungeahnte Leichtigkeit. Auch aufgrund einer anderen Materialwahl filigraner wirken die jüngst auch bemalten Aluminiumobjekte, die mit Unikaten aus Holz die Ausstellung ergänzen. Ihre um das Zentrum fächerartig gestaffelten Ovale könnten die Bewegung eines Schattens nachempfinden. Hall kreiert eine Formsprache, die das Landschaftserlebnis als Ausgangspunkt in puristischer Manier mittels geometrisch-abstrakter Formen wieder gibt.

 

„As with landscape, sculpture has a stillness until the observer moves“, sagt Hall in einem Interview mit der Royal Academy of Arts, London. Eine Feststellung, die für seine vom Schattenwurf geprägten Wandobjekte und vor allem für seine vollansichtigen Bodenskulpturen essenziell ist. Das Verhältnis von Licht und Schatten, Ruhe und Bewegung, Enge und Weite wechselt mit der Perspektive der Betrachtenden. Die Plastik zeichnet ihrem Ausstellungsort elementare Formen ein, die zu einem Dialog mit der umgebenden Architektur anregen. Die Skulpturen aus Corten-Stahl oder Bronze mit ihrer massiven, präzisen Eleganz werden vielerorts in der Natur platziert und führen so zu einem besonders eindrücklichen Seherlebnis.

 

Seit seiner Studentenzeit am Royal College of Art in London stehen Halls Zeichnungen als eigenständiger Standpunkt seines Schaffens seinen Objekten gegenüber - sie sind weder Skizzen noch Entwurfszeichnungen für seine Skulpturen. In regelmässigen Intervallen fertigt er entweder Zeichnungen oder Plastiken. In Kohle, Gouache und Acrylfarben schafft Hall dennoch eine Bildsprache, die seinen dreidimensionalen Arbeiten sehr nahe steht. Die klar und präzise gemalten Umrisse der gekordelten, geschwungenen Linien kontrastieren mit verschmierten Kohlepartikeln, die Fall oder Verlauf der Schlaufen wie Kondensstreifen untermalen und somit Spannung erzeugen. Das Ausloten der Gewichtungen, das Gegeneinandersetzen von bewegten, blattförmigen Motiven und ihre Doppelung thematisiert Hall in Zeichnungen losgelöst vom physischen Gesetz der Schwerkraft, das er in seinen Objekten stets berücksichtigen muss. Im Gegensatz zu seinen früheren Papierarbeiten setzt Hall nun vermehrt Gelb- und Rottöne ein, um seine einst vom Schwarzweiss dominierte Zeichenwelt aufzubrechen.

 

Nigel Hall RA zählt zu den bedeutendsten Vertretern der europäischen Bildhauerkunst. Seine Werke befinden sich in den renommiertesten Museen und privaten Sammlungen der Welt. Genannt seien an dieser Stelle die Tate Gallery, London; das Musée National d’Art Moderne, Paris; die Neue Nationalgalerie, Berlin; das National Museum of Art, Osaka; das Museum of Contemporary Art, Sydney; das Tel Aviv Museum of Art und das Museum of Modern Art, New York. Neben seiner künstlerischen Tätigkeit war Hall Dozent am Royal College of Art und Leiter des Fachbereichs für Skulptur am Chelsea College of Art and Design in London. Im Jahr 2003 wurde Nigel Hall zum Mitglied der Royal Academy of Art ernannt; er lebt und arbeitet in London. 

 

Marie-Louise Teichmann

 

Biografie