Katja Loher
Where do Things in Dreams go?
29.01.2016 - 12.03.2016
Wer in einer Blase sitzt, mag sich wohl rundum geschützt fühlen. Doch verwenden wir das Sinnbild der Blase auch für Momente des Wohlbefindens, der Hoffnung und der Träume. Zudem ist es eine Binsenwahrheit, dass Blasen platzen können. Trotz der freimütigen Frage im Ausstellungstitel funktionieren Katja Lohers Blasen- oder Glaskugelwelten jedoch anders. Die in Mikro-Universen eingekapselten, zeitlos-prophetischen Botschaften sind Ausdruck der zunehmenden Bedrohung unseres Planeten. Lohers wundersam schön-poetische Mikrokosmen weisen auf unsere Beziehung zur Natur hin, und was daraus werden könnte.
Es überrascht kaum, dass wir hier Anklänge an den magischen Realismus finden, ist doch die gebürtige Schweizerin zutiefst von Südamerikas Kulturen fasziniert. Mit ihrem langjährigen Mitarbeiter Gian Maria Annovi formuliert sie wie aus dem Unterbewussten auftauchende und vom chilenischen Dichter Pablo Neruda inspirierte Fragen, die sie in ihr “Video-Alphabet” umsetzt. Minuziös choreographierte Tänzer_innen stellen in höchst präzisen, kaleidoskopischen Bildmustern, wie wir sie vom Synchronschwimmen kennen, Worte, Sätze oder Fragen dar. Aus der Vogelperspektive gefilmt, formt sich das Ganze zu einer bestechenden Mischung von Performance, Bild, Text und Ton, den die Künstlerin in Zusammenarbeit mit Audio-Designer Asako Fujimoto entwickelt hat. Ungeachtet ihrer Grössenskala erlauben es diese Werke dem Publikum, in ein unentrinnbares, aufwühlendes Erlebnis der Selbstreflektion einzutauchen.
In der aktuellen Ausstellung greift die Künstlerin in Werken wie What will protect the ants from the gilded sunbeams? oder What‘s the color of the air? (2015) wiederum auf ihre “Bubbles” oder Glaskugeln zurück. Mit Videoaufnahmen aus dem Regenwald erweitern diese Werke den Fächer von Katja Lohers künstlerischen Experimenten mit den Medien der Video-Skulptur und der Video-Installation.
In der doppelwandigen Glaskugel Material Universe (2014) hinterfragt Katja Loher unter Mitarbeit von Performance-Künstler Geoff Sobelle auf witzige und doch tiefschürfende Weise unsere Beziehungen zu weltlichem Besitz. Subtile, in Videomontage arrangierte Fragen tauchen auf oder erscheinen im Hintergrund wie undurchdringliche Botschaften auf einem Ouija-Brett: How much do you need to feel fear?
Die kreativen Aus- und Abschweifungen der Künstlerin sind voller Magie und Träume, weisen ihr Publikum jedoch auch immer wieder auf die ihnen innewohnenden Gefahren hin. So scheren im mehrfach vorkommenden Kreismotiv “Pillen” aus den Kreisen aus. Sie sollen unser Augenmerk auf das drohende Aussterben der weltweit wichtigsten Bestäuber – die Bienen, Fledermäuse, Schmetterlinge und Kolibris – und somit auf das Verschwinden unserer Nahrung ausrichten. Die Bewegungen der Tänzer_innen zeichnen mögliche künstlich verursachte Mutationen in diesen Tierarten nach, deren „Essenzen“ schliesslich in Pillen eingefangen werden.
Durch “Portale” oder Pforten führt die Künstlerin das Publikum in Alternativwelten, wo sie mittels “Video-Alphabet” und “Kymatik”, dem Studium von durch Klänge oder Geräusche verursachten geometrischen Wellenmustern, existentielle Fragen zu Zeit und Freundschaft erkundet.
In neueren Werken wie Why do clouds cry so much when the forest becomes a void? (2015) verwendet Katja Loher nicht mehr konstruierte Naturelemente, sondern Vorgefundenes. In diesem Fall quellen aus dem hohlen Strunk einer grauen Ulme – aufgeblasenem Baumharz gleich – geheimnisvolle Prophezeihungen und Feensprüche. Wie in den “Pillen”- und “Portal”-Serien hat die Künstlerin auch hier Ton als wesentliches Erfahrungselement hinzu gefügt.
Eine weitere neue Arbeit ist Why don’t we help soldier ants to protect the universe? (2016). Hier ermöglicht es die geringe Höhe des an einen Monolith gemahnenden, mysteriösen schwarzen Quaders dem Publikum, das Video aus der Vogelperspektive zu betrachten. Für die Videobildschirme hat die Künstlerin organische Formen in die Oberfläche geschnitten. Sie sehen Baumringen ähnlich oder auch Wellenmustern im Wasser nachdem ein Stein hineingefallen ist. Wie eine “Ameisenstrasse” windet sich eine dünne Linie an den Aussenrändern der zentral angeordneten Öffnungen entlang. In dieser direkter interpretierenden Video-Skulptur betritt Katja Loher künstlerisches Neuland, doch auch hier greift sie wieder auf Naturwissen, und tief im Unterbewussten schlummernde Weisheiten, zurück.
Die kreisrunde Projektion mit dem Titel Why do the waves never go to sleep? (2015), führt in die vollkommene Entmaterialisierung. Auf einen An-/Aus-Schalter angewiesen, steht hier das Wasser im Vordergrund, wenn beim Einschalten etwas aufleuchtet, was an einen Teich gemahnt, und wieder verschwindet, sobald der Schalter auf „Aus“ gestellt wird. Hier verweist die Künstlerin auf alte Praktiken, wonach die Interpretation von Runen in einem flachen Wasserbecken den Zugang zum kollektivem Gedächtnis eröffnet. Diese Arbeit hat Katja Loher in Zusammenarbeit mit Andrea Liberni entwickelt. Der Architekt und Künstler hat auch in ihren grossformatigen Kunst-am-Bau-Projekten eine wesentliche Rolle gespielt.
Katja Lohers Arbeiten sind nicht belehrend, was sie umso eindrücklicher macht. Sie erlaubt dem Publikum, die eindringlich geflüsterte Warnung von Mutter Natur zu hören, dass sie unter Geiz und Fortschritt leidet. Sie stellen zwischen ökologischen und technologischen Themen einen Dialog her und suchen nach einer harmonischen Lösung zwischen den beiden, jedoch ohne notwendigen Fortschritt abzulehnen.
Insbesondere in Katja Lohers hier vertretenen neueren Arbeiten drückt sich eine Verbindung von Animismus und Technologie aus. Gerade heute bietet sich daraus ein stichhaltiger Ansatz, die klassische Annahme zu unterlaufen, dass wissenschaftlicher und technologischer Fortschritt die Antriebskräfte dessen sind, was Max Weber als die “Entzauberung der Welt” bezeichnet hat. Das neue Verhaltensmuster, zu dem Katja Loher wie eine Techno-Druidin oder – angesichts ihrer Amazonas-Faszination – vielleicht eher wie eine Techno-Schamanin führen will, verleiht der Technologie neuen Zauber.
Wo also gehen die Dinge aus den Träumen hin? Erhöhte Selbsterkenntnis und kollektive Aktion vorausgesetzt, können sie nach Meinung der Künstlerin genau da bleiben, wo sie sind.
Karen Garratt
Deutsche Fassung von Margret Powell-Joss
Biografie
'Magische Mikrokosmen,' Handelzeitung, Nr.9, 3. März, 2016