Jessica Craig-Martin

Social Security

05.05.2017 - 15.06.2017

 

Elements of Style

17.06.2017 - 15.07.2017

 

 

 

Jessica Craig-Martin hat ein Auge für sprechende Details. Sie sieht die haarfeinen Risse in den gleissenden Oberflächen sorgfältiger Selbstinszenierung in einer Welt des Luxus. An Festen und Galas, Wohltätigkeitsbällen und Dinner-Partys der „Lucky Few“ macht sie Aufnahmen von weichen Pelzen und harten Juwelen, Platin und Pailetten, gebräunter Haut und goldenen Kreditkarten. Ihre Bilder wirken wie Puzzleteile eines grösseren, umfassenderen Gesellschaftsporträts.

 

Alles begann auf einer grossen Party, zu der sie ihr erster Fotoauftrag für die amerikanische „Vogue“ führte, wie Jessica Craig-Martin in einem Interview mit Angus Cook erzählt. Während sie auftragsgemäss perfekt gestylte, junge Frauen fotografierte, bemerkte Craig-Martin, dass sich hinter diesen makellosen Schönheiten viel interessantere Motive zeigten: Film- und Bühnenlegenden wie Gina Lollobrigida, Carol Channing und Joan Rivers, „die in glitzernden Abendroben und Platinperücken über den roten Teppich schritten, um noch als 70-Jährige ihre neueste Broadway Show zu promoten“. Für Jessica Craig-Martin waren diese älteren Frauen die eigentliche Story. „Sie waren Kämpferinnen. Die hübschen Mädchen hatten ihre Schönheiten, diese Frauen aber hatten Schneid. Sie waren eine Sensation, und das wussten sie auch. Doch hinter ihrer glänzenden Fassade und ihrer gespielten Tapferkeit war ihre grosse Verwundbarkeit fühlbar.“ Das war der Moment, in dem Craig-Martin ihr Sujet für sich entdeckte. 

 

Glänzende Oberflächen faszinieren, weil sie die Verheissung des Neuen und Unberührten, des Reinen und Makellosen in sich bergen. Der deutsche Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich hat sich in seiner Veröffentlichung „Habenwollen: Wie funktioniert die Konsumkultur?“ intensiv mit dem Phänomen der glänzenden Oberflächen beschäftigt und dabei festgestellt: Kaum einer kann ihrer Verlockung widerstehen. Dem Glanz eignet eine beinahe metaphysische Kraft, was glänzt ist dem Alltäglichen und scheinbar auch der Vergänglichkeit enthoben. Zugleich ist er das Zeichen für Wohlstand, Luxus, Erfolg, für Unberührbarkeit oder gar Unsterblichkeit.

 

Jessica Craig-Martin ist eine Expertin darin, die Lücken in den glanzvollen Selbstinszenierungen der Superreichen und Superprominenten zu sehen. Ihr Blick ist hellwach aber nicht hämisch; sie hat nicht die Absicht, die Fotografierten der Lächerlichkeit auszuliefern. Meist bleiben die Gesichter oder zumindest die Augenpartie sogar ausgespart. Wenn Jessica Craig-Martin sich auf die Risse im Glamour der Reichen fokussiert, sieht sie dahinter keine Karikaturen, sondern Verletzlichkeit, Eitelkeit, Sehnsucht nach Anerkennung. Verwundbare Jedermänner und -frauen, allerdings mit einer soliden Schicht aus Geld und Glamour gepanzert. Manchmal verrutscht dieser Panzer eben ein wenig. Die Künstlerin ist sich durchaus bewusst, dass auch sie von der Fixierung auf glänzende Oberflächen infisziert ist. „Ich sehe die Partygäste, die ich fotografiere, als Teil eines gesellschaftlichen Phänomens. Ich bin zugleich Dokumentaristin wie auch ihre Komplizin. Das Blitzlicht verrät Anwesenheit. Ich bin Teil des Problems.“

 

Teil Eins: Elements of Style

 

Im ersten Teil ihrer Doppel-Ausstellung in der Galerie Andres Thalmann zeigt Jessica Craig-Martin zum ersten Mal eine Auswahl ihrer Modefotografien in einer Galerie. Es ist eine Auswahl an Auftragsarbeiten für Hochglanz-Magazine, die jedoch deutlich die Handschrift der Künstlerin verraten. Für die Ausstellung wurden sie in Grossformaten gedruckt, die die Sujets aus der Luxuswelt beinahe abstrakt wirken lassen. Wie auch in ihren künstlerischen Arbeiten, bewegen sich die abgebildeten Personen oft am Rande sozialer Katastrophen. Sie erscheinen eingebunden in eine dekadente Welt, in der Luxus und Verfall die zwei Seiten einer Medaille sind. In ihrer Ästhetik sind ihre Auftragsarbeiten deutlich mit ihren künstlerischen Fotografien verwandt, doch der Entstehungsprozess dahinter sei deutlich verschieden, erklärt Craig-Martin: „Meine künstlerischen Arbeiten entstehen spontan. Die Auftragsarbeiten hingegen in einer Art „arrangierter Spontanität“.“

 

 

Teil Zwei: Social Security

 

Zweite Teil der Ausstellung präsentiert Jessica Craig-Martins neue Serie von „Momentaufnahmen“, die im Rahmen luxuriöser Events entstehen, die die Künstlerin im Auftrag grosser Zeitschriften besucht. Die Bilder zeigen ihr fortgesetztes Interesse an den Stammesritualen und geheimen Regeln der High Society. „Idealerweise kann ich unbemerkt durch die Menge schlüpfen, bis das Blitzlicht mich verrät“, sagt Craig-Martin über ihre Arbeitsweise und fügt an: „Auch wenn es so scheint, als bewegte ich mich viel in Gesellschaft, so bleibe ich bei diesen Partys und Events doch in einer Kapsel der Zurückgezogenheit. Ich bin ganz auf mein fotografisches Ziel fokussiert, auf meine Augen, mein Objektiv.“


In ihren jüngsten Arbeiten rückt Craig-Martin etwas von jener „forcierten Heiterkeit“ ab, die in vielen ihrer Fotografien sehr präsent ist. Humor spielt noch immer eine wichtige Rolle in ihrer Arbeit, allerdings entwickelt sie in ihren neuen Aufnahmen das Spiel mit visuellen Möglichkeiten weiter.

 

Alice Henkes und die Künstlerin

 

Biografie

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