Howard Hodgkin

Memories

 

22.11.2019 - 25.01.2020

 

 

Helle, ockergelbe Tupfen tanzen auf der Bildoberfläche wie Sandkörner im Licht eines Sommertages. Glatt liegt daneben eine Fläche aus leuchtendem Ultramarin. Mit wenigen Farben, wenigen Gesten entsteht vor dem Betrachter, der Betrachterin ein sonniger Tag an der See. Das Wasser ruhig unter der Sonne ausgebreitet, der Strand warm und glänzend wie Millionen kleiner Sonnen. Beach heisst das Bild schlicht. Howard Hodgkin malte es 2015-16, in seiner letzten Schaffensphase. Doch es wirkt, wie auch andere Arbeiten aus dieser Zeit, keineswegs müde oder weltabgewandt. Im Gegenteil. Mit seinem entschiedenen Nebeneinander verschiedener Farben und Formen wirkt es enorm kraftvoll und verdichtet, wie das Konzentrat eines lichtvollen Sommermoments. Hodgkin gelingt hier scheinbar spielend, wonach er in seiner Arbeit stets gestrebt hat: Die tiefe innere Bewegungen, die die Begegnungen mit Landschaften aber auch mit Menschen in ihm auslösten, in Malerei umzusetzen.

 

Howard Hodgkin zählt zu den berühmtesten britischen Künstlern der Gegenwartskunst. Er wurde 1932 in London geboren und lebte dort bis zu seinem Tod im Jahre 2017. Seine Werke befinden sich in zahlreichen bedeutenden Museums-Sammlungen, unter anderem in der Tate, London, im Britischen Museum, London, im Metropolitan Museum, New York, im Museum of Modern Art, New York. Hodgkin wurde für sein Schaffen mit zahlreichen Ehrungen ausgezeichnet, unter anderem 1985 mit dem Turner-Preis; im gleichen Jahr vertrat er Grossbritannien an der Biennale in Venedig. Königin Elisabeth II hat ihn 1992 zum Ritter geschlagen und 2003 zum Companion of Honour ernannt.

 

Howard Hodgkin war ein Meister im Umgang mit Farben. Seine aussdrucksstarken Gemälde und Druckgrafiken werden oft als halb-abstrakt bezeichnet. Auf den ersten Blick sind seine Bilder klar dem Vokabular der Moderne verpflichtet. Seine Gemälde und Druckgrafiken leben von wenigen prägnanten Gesten, was ihnen einen Ausdruck von Spontaneität und Leichtigkeit verleiht. Doch hinter dem vermeintlich impulsiven Gestaltungsakt stehen profunde Überlegungen zu Technik und Material. Seit den 1970er Jahren arbeitete Hodgkin auf Holz statt auf Leinwand. Bevorzugt verwendete er gebrauchte Holzpaneele, die er aus Indien und verschiedenen europäischen Ländern bezog. Die Maserung des Holzes sowie Gebrauchsspuren und schadhafte Stellen wurden zu integralen Bestandteilen der Gemälde und unterstreichen ihre starke physische Präsenz. Druckgrafiken spielten eine wichtige und eigenständige Rolle in Hodgkins Schaffen. Sie entstanden in sehr komplexen, mehrstufigen Druckprozessen und wurden oft zusätzlich von Hand übermalt. So entstand aus jedem Abzug wiederum ein Unikat.

 

Gerade in diesen druckgrafischen Arbeiten zeigt sich, wie souverän Howard Hodgkin mit Farbe zu gestalten verstand. In reduziert wirkenden Farbflächen, die sich mal überlagern, mal in harten Kontrasten gegeneinander stehen, schwingt immer etwas sehr Sensibles, Stimmungsvolles mit. Howard Hodgkin beschäftigte sich intensiv mit den grossen britischen Romantikern wie John Constable und William Turner. Und obwohl es nicht auf den ersten Blick ersichtlich scheinen mag: Auch Hodgkins malte Landschaften – Landschaften der Seele. Er selbst sagte von sich: „I am a representational painter, but not a painter of appearances. I paint representational pictures of emotional situations.“

 

Die inneren Landschaften, die Howard Hodgkin auf Papier oder auf Holz gestaltete, konnten der Natur verbunden sein, wie das eingangs genannte Bild Beach. Oft interpretierte er auch Wetterstimmungen, wie in der von Hand bemalten Aquatinta Dark Rainbow (2015-16) oder in der Carborundum-Relief-Farblithografie Storm Cloud (2014). In ihrer Reduktion auf wenige, präzise gesetzte Farbgesten wirken sie wie bildgewordene Haikus – jene japanischen Kurzgedichte, die in wenigen Begriffen reiche innere Erlebniswelten evozieren, ohne sie je direkt zu benennen. Mit seinen Bildtiteln gibt Howard Hodgkin kleine Lesehilfen: In Blue Evening (2014) legen sich tiefes Blau und leuchtendes Rot übereinander zu einem Sonnenuntergang, in dessen Kern schon die Dunkelheit der Nacht sichtbar wird. A Glass of Red (2015-16) lebt vom satten Farbton eines guten Rotweins, den man sich umrundet von abendlicher Behaglichkeit und guten Gesprächen mit Freunden vorstellen kann.

 

Howard Hodgkins künstlerische Schaffenskraft hat nie nachgelassen. Sein spätes Werk, aus dem die Galerie Andres Thalmann nun einige Arbeiten zeigt, wirkt ebenso kraftvoll und frisch in seiner Farbigkeit wie die Bilder des jungen Hodgkin. In den Sujets jedoch zeigt sich eine gewisse existenzielle Tiefe, so etwa in Absolutely (2015-16), einem Aquatinta-Druck: Hier markieren Grün- und Blautöne einen tunnelartigen Raum in die Unendlichkeit.

 

Alice Henkes

 

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