Barbara Ellmerer

Atomjumps

17.11.2017 - 27.01.2018

 

 

 

 

Rosa Hügel, blaue Senken: Die Formen in Barbara Ellmerers neuer Bildserie Atomjumps sind weich und durchaus lustvoll. Rund, fliessend, geschmeidig wie warme, träge sich räkelnde Körper. Die Farben aber – dieses kühle Rosé, das matte Blau-Grau-Violett – wirken fahl und fad, wie von zu starkem, kaltem Licht ausgewaschen. Laborlicht. So tritt beim Betrachten der Bilder neben den Eindruck sanfter Weichheit auch eine Vorstellung von Nüchternheit und aseptischer Kälte.

 

In der Kunst von Barbara Ellmerer begegnen sich lustvolle Malerei und intellektuelle Naturerkundung, Freude an der Farbe und wissensdurstige Forschung. Kühn bewegt sich die in Zürich lebende Künstlerin im Grenzbereich zwischen Kunst und Wissenschaften. Waren in den Werken vergangener Jahre durchaus noch Naturelemente wie Blütenteile oder Kleinstlebewesen erkennbar, so treibt ihr Forschergeist sie immer weiter voran, von der Pflanze zum Blatt, von der Zelle zum Atom. Unter die Oberflächen, in unbekannte Welten, hin zu dem, was unsichtbar aber nicht undenkbar ist. Was sie antreibt, ist die nachgerade faustische Begier, dass (sie) erkenne, was die Welt / Im Innersten zusammenhält, / Schau alle Wirkenskraft und Samen.

 

Das, was Goethe Wirkenskraft nennt, die Grundenergie, die alles Leben erzeugt und vorantreibt, dies ist es, der Barbara Ellmerer mit Farbe und Esprit nachspürt. Dabei erlaubt sich die äusserst belesene Künstlerin durchaus phantasievolle Freiheiten. So gestaltete sie zum Beispiel eine Serie von Zeichnungen, angeregt von dem berühmten Lehrgedicht „De rerum natura“ (Über die Natur der Dinge) des römischen Gelehrten Lukrez. In der im 1. Jahrhundert vor unserer Zeit entstandenen Schrift entwirft Lukrez eine Kosmologie, die nur auf natürliche Ursachen zurückzuführen ist und benennt bereits eine materialistische Atomlehre. Barbara Ellmerer hat sich von den Hexametern des Lukrez zu Zeichnungen anregen lassen, die mal an architektonische Skizzen erinnern, mal Darstellungen menschlicher Körperteile und dann wieder an flüchtig-zarte Landschaften.

 

„In absolutes Terrain vorstossen kann man mit Malerei oder mit wissenschaftlichen Formeln“, so die Maxime der so erkenntnishungrigen wie wagemutigen Künstlerin, die die Leinwand in vielfältiger Weise als Versuchsraum benutzt. So arbeitet sie seit Jahren schon gern mit unkonventionellen Farben, ungewöhnlichen Verbindungen. Sie benutzt Lacke und Ölfarben und Silbernitrat. So wie sie auf der visuellen Ebene oft mit Farbtönen experimentiert hat, die sie schroff gegeneinander setzt, so erprobt sie auf der Materialebene das Mit- und Gegeneinander von Substanzen, die einander verändern oder abstossen. Die Leinwand wird zum Chemielabor.

 

In ihrer jüngsten, siebenteiligen Bildserie Atomjumps entkoppelt Barbara Ellmerer Natur und Wissenschaften. Sie löst sich von den Objekten der Natur und macht sich wissenschaftliche Betrachtungsweisen zu eigen, um die Malerei selbst zu erforschen. Mikroskopisch zoomend hat sie sich in kleine Partien eigener Bilder vertieft, und diese anschliessend stark vergrössert nachgemalt. So entstanden jene Formengebilde, die so verlockend weich und steril-grau zugleich wirken. Die leichte Irritation, die von diesen Bildern, die körperlich und kalt zugleich scheinen, ausgeht, wird verstärkt durch den Umstand, dass es kein vorgegebenes Oben oder Unten gibt. Die Bilder können so oder so aufgehängt werden. Alles ist richtig. Alles ist falsch. Es gibt keine Gewissheit. Damit reflektieren die Gemälde den alten philosophischen Zweifel an der menschlichen Erkenntnisfähigkeit.

 

Die abstrakt und dennoch körperlich wirkenden Bilder geben den Blick unter die Bildoberfläche wieder, das Geheimnis des Lebens, das Geheimnis der Kunst. Die Künstlerin selbst freilich lehnt den Begriff abstrakt ab: „Ist ein Atom (k)ein Gegenstand?“ So gelingt es Barbara Ellmerer, mit dem Pinsel tief in Fragen der Philosophie vorzudringen.

 

 

Alice Henkes

 

 

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