Barbara Ellmerer
Kosmics
17.01.2015 - 14.03.2015
Es ist eine Geste der Zärtlichkeit: Behutsam streicht der Pinsel über die Leinwand, ertastet das Gewebe, gleitet weiter, stets darauf bedacht, nicht zu viel Druck auszuüben. Mit ruhigen Bewegungen trägt er gerade so viel Farbe auf, dass eine feine Lasur entsteht. Wir kennen das aus den ersten Begegnungen von Liebenden, wenn die Körper einander noch fremd sind und die Hände die wechselnden Volumen und Dichtigkeiten unter der Haut erspüren wollen, Seismographen des Verborgenen. Dieses Verweilen kann schier endlos dauern. Mit jeder Lage, welche Barbara Ellmerer aufbringt, findet sie tiefer hinein in ihr Material, das Leinen und die Farbe, und in die Welt, die in der Begegnung dieser beiden gerade entsteht. Schicht für Schicht bildet sich eine eigene Raumzeit. Wir sehen sie im beendeten Gemälde als atmosphärische Expansion. Man ist versucht, diese mit Begriffen aus der Meteorologie zu beschreiben, bis man das Scheitern der Sprache akzeptieren muss: Wolken sind zu dicht und konturiert, Nebel wäre zu undurchdringlich. Plasma böte sich an, wenn damit nicht hohe Temperaturen verbunden wären. Doch diese ausströmende Farbe ist mit ihren Grau-, Blau, Beige-Tönen kalt. Selbst da, wo sich dunkle Ränder in eine fast weisse Tiefe verflüchtigen, wie auf Weisses Partikel, 2014, ist die Kälte flüssigen Stickstoffs zu spüren.
Giovanni Bellini hat manchen Himmel so gemalt, Giovanni Battista Tiepolo lässt in seinen Fresken den Blick damit gelegentlich ins Ferne irren. Aus jüngerer Zeit kommen einem die Farbfelder Mark Rothkos, die Farbkissen Gotthard Graubners in den Sinn. Doch sie alle waren entweder thematisch gehalten oder durch ihre historische Erfahrung. Christliche Heilsgeschichte oder transzendentales Pathos nach einem überstandenen Weltkrieg setzten ihren Farbräumen schützende Grenzen.
Nicht so auf den neuen Gemälden von Barbara Ellmerer. Da ist nichts als schiere Ausdehnung, als ein visuelles Hineinhören in eine Bewegung, von der weder Geschwindigkeit noch Richtung bekannt ist. Nur die bewegte Stille wird sichtbar. Kosmics nennt die Künstlerin diese neue Werkgruppe. Der Titel verweist auf ihr Interesse an naturwissenschaftlichen Hypothesen zur Erklärung der Welt und auf die eigene Erfahrung, dass die abgeleiteten Gesetzmässigkeiten für uns nicht sinnlich sind. Das gilt für die kosmische Dimension; wer kann sich schon Magnetfelder vorstellen, wer die sich beschleunigende Ausdehnung des Alls. Es gilt aber auch für die kleinsten Vorgänge in unserer Umgebung. Wir können vielleicht mit Bildern beschreiben, wie eine Blüte platzt. Die Kräfte, die dazu führen, entziehen sich aber der Sichtbarkeit. Da bleibt eine Kluft.
Malerei kann diese nicht überbrücken, aber sie kann auf sie hinweisen. Sie kann uns damit konfrontieren, dass in einer Welt, die im Zeichen des naturwissenschaftlichen Gesetzes funktioniert, gerade in dessen Schatten lichthelle Dunkelzonen liegen. Nicht im Sinne einer romantischen Fundamentalopposition gegen die Leistungen der Vernunft. Auch nicht als anthropologische Kompensation, wie sie der Philosoph Odo Marquard vertreten hat. Malerei kann uns vielmehr ihre eigenen Räume eröffnen, die andere Erfahrungen ermöglichen.
Dazu muss sie sich auf ihre Mittel besinnen. Die Sensationen liegen in der Farbe und in dem, was sie mit der Leinwand tut, nicht in ihren Bezügen zur Lebenswelt. Zumindest gilt dies für Barbara Ellmerers Malerei. Die Künstlerin lässt auf den neuen Bildern den Blick trudeln, absinken, zurückschnellen und weiter fallen. Halt wäre nirgends zu erlangen, wenn da nicht gegenläufige Strukturen in diese Räume vorstiessen, vor ihnen schwebten, sie versperrten, durchbrächen, aus ihnen kondensierten. Sie sind schnell und häufig pastos gemalt, stehen gelegentlich als Reliefs von der Leinwand ab, setzen Materie gegen die Flüchtigkeit und feiern all das, was die Behutsamkeit des Urgrundes sich versagt: Farbverläufe, Kontraste, das Schillern und die Glut der Farbe. Barbara Ellmerer hat das in vorangehenden Werkgruppen erprobt. Die Ausstellungen der letzten drei Jahre – Calyx, Flux, Bio-Fiction – zeigen die Entwicklung und Ausfaltung des Interesses an naturwissenschaftlichen Modellen als Vorwand, ihre Malerei zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion, zwischen Auflösung und Objekthaftigkeit zu überprüfen. Mit den neuen Werken der Kosmics-Gruppe setzt die Malerin diesen Weg konsequent fort und drängt die Materialität weiter in die Abstraktion, ins Modell zurück. Ohne die Sinnlichkeit ihres Zugriffs zu verlieren.
Gerhard Mack
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