Andrew James Ward

Night Walks

Part I, 1–19.06.2021

Part II, 2–24.07.2021

 

 

 

Vasen sind mehr als schöne Gefässe, die man – mit Blumen gefüllt oder ohne – dekorativ im Wohnraum aufstellen kann. Vasen sind voller Magie. Andrew James Ward hat das früh erfahren. Um genau zu sein im Alter von 6 Jahren, als sein Grossvater ihm von einer Geschäftsreise eine chinesische Vase mitbrachte. Was den Knaben Ward fesselte, waren nicht der feine Schimmer der kühlen Oberfl che oder die milchige Transparenz des Materials, sondern der Geist der Vase. In der Vase, hatte sein Grossvater gesagt, lebe ein Dschinn. Das faszinierte Ward.

 

Rund vier Jahrzehnte vergingen, bis Andrew James Ward erneut der Verführungskraft des Porzellans verfiel. Er war auf Reisen in Asien. In einem Museum in Taiwan sah er chinesische Vasen der Ming-Dynastie (1368 – 1644) und war augenblicklich verzaubert. Die Schönheit dieser Vasen, ihre Symmetrie und Natürlichkeit begeisterten ihn nachhaltig. Oder war es der Dschinn, welcher Ward mit seinem luftigen Finger berührt hatte?

 

Ward begann Vasen zu malen – und er malt sie bis heute. Riesenhafte Vasen. Auf Leinwänden von über zwei Metern Höhe. Ward malt sie mit  Ölfarben, die er direkt mit den Händen, den Fingern aufträgt. Tief greift er in die Farbe und wie ein Töpfer gestaltet er die Gefässe auf der Leinwand. Der ganze Körper schwingt dabei mit. Aus einem Tanzen heraus formt Ward seine Vasen. Dabei entstehen Strukturen, die den gemalten Gefässen eine beeindruckende Plastizität und räumliche Präsenz geben. Sie sind im wahrsten Sinne des Wortes raumgreifend und erzeugen zugleich geheimnisvolle Räume. Was wohl in ihrem Innern ist? Man möchte sich am liebsten auf einen Stuhl stellen und einmal nachschauen…

 

Andrew James Wards Vasen sind betörende Gefässe, die Kultur und Natur miteinander in Verbindung bringen. Wenn er eine Vase mit einem Drachenmotiv malt, ist nicht nur ein zähnebleckendes Ungeheuer auf dem bauchigen Gefäss zu sehen. Das magische Fabelwesen scheint sich aus knorrigen Ästen und stürmischen Wellen zusammenzufügen. Ward malt damit eine Reminiszenz an seine Kindheit. Der aus Schottland stammende Künstler hat als Knabe viele Stunden an der Küste verbracht. Das Erleben der See, die mächtige Weite des Wassers und seine bei Sturm tosende Kraft haben ihn tief geprägt.

 

Friedlicher wirkt seine Serie aus sieben Vasen mit traditionellem Chrysanthemen-Motiv. Mit der Wahl dieses klassischen Dekors – symmetrisch angeordnete dicke Blütendolden und arabeske Linien – huldigt Ward der Schönheit des chinesischen Porzellans. Er fügt sich zugleich in die lange Reihe westlicher Kunstschaffender ein, welche dieses Thema zum Konzept erhoben haben, von Claude Monet bis Andy Warhol. Immer wieder das gleiche Motiv, das jedes Mal, je nach Farbe, je nach Licht, je nach Stimmung, ein ganz anderes Bild ergibt. Ward variiert von Vase zu Vase, von Bild zu Bild die Farbkombinationen. Die Chrysanthemen-Vasen sind ein Dialog zwischen der europäischen und asiatischen Welt in Öl.

 

Ward malt Chrysanthemen-Vasen in feierlichem Rot und Gold. Auf leuchtend blauem Grund setzt er gelborange Blüten, die funkeln wie die Sonne. Im Bild Merope kombiniert er ein ernstes, herbstliches Violett mit frühlingslichtem Grün. In Taygeta malt er türkisblaue Blüten in einem turbulenten, an Keith Haring erinnernden Liniennetz. Bei der Namensgebung seiner Bilder greift Ward nach dem Sternenhimmel und der antiken Mythologie: Merope und Taygeta gehören zu den Plejaden, den Begleiterinnen der griechischen Jagdgöttin Artemis. In der Farbgebung mag Ward es intensiv, kraftvoll, manchmal psychedelisch wild. Seine Bilder entstehen in Suchprozessen, Schicht um Schicht, bis die endgültige Farbkombination gefunden ist. Die arabesken Strukturen zwischen den dicken Blütendolden haben etwas von endlos gekrümmten Wegen, denen man lustvoll durch ein Labyrinth voller Schönheit und Überraschungen folgt, schlendernd, spazierend oder – vom Künstler inspiriert – tanzend.

 

Den Oberflächenstrukturen seiner Bilder ist ein vitaler Rhythmus eingeschrieben, der sich aus Tanz und aus Musik ergibt. Ward malt zu Musik und seine zweite Serie, Night Walks II, begleitet er mit Soundcollagen – komponiert aus weiblichen Stimmen und Tönen die scheinbar dem Universum entspringen. Stimmen, die um die Vasen herum schwirren und gleiten, über sie hinweg, in sie hinein. Was aber ist in den Vasen? Andrew James Ward lacht. Ganz sicher kann er es selbst nicht sagen. Es sei ein grosses Mysterium. Aber eine Vermutung hat er: „The fullness of emptiness.“ Die Fülle der Leere. 

 

Andrew James Ward wurde 1954 in Cheadle Hume bei Manchester geboren und wuchs in Schottland auf. Er unternahm Reisen in afrikanische und asiatische Länder. Von 1982- 2005 lebte er in der Schweiz. Heute wohnt er in der Nähe von Frankfurt am Main. Seine Werke befinden sich in zahlreichen internationalen Sammlungen und wurden an diversen Ausstellungen gezeigt, unter anderem am Eden Court Arts Centre in Inverness, an der Georgetown University in Washington; im National Museum Manila und wiederholt im Skulpturenpark des Kloster Schoenthals.

 

Alice Henkes

 

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